US-Soldaten in Ost-Berlin
Verfasst: 11. August 2018, 10:54
Auf Schnäppchenjagd beim Feind
Besondere Grenzgänger: US-Soldaten fuhren im Kalten Krieg oft privat nach Ost-Berlin – als Abenteuer oder zum Shoppen. Die Ost-Berliner waren davon nicht immer begeistert.
Die Ost-Berliner ärgerten sich sehr über die Besuche alliierter Soldaten aus dem Westen. So berichtete es zumindest am 2. Oktober 1989 die „Berliner Zeitung“: „Wer etwa an Samstagen das Umfeld des ‚Centrum'-Warenhauses am Hauptbahnhof erkundet, findet ohne Mühe mehrere britische Privatwagen und britische Militärbusse. Vor dem ‚Centrum'-Kaufhaus am Alexanderplatz stehen zwei französische Militärbusse und drei amerikanische. Und dann marschieren, mit Schottenrock und strammen Waden, ein paar ‚Highlander' durchs sozialistische Konsumparadies.“
Pelze, Kameras, Lampen, Teppiche, Porzellan, Bettwäsche, Gardinen, Kinderkleidung und Spielzeug, aber auch Hausrat sowie Lebensmittel würden die Soldaten massenweise „im Kofferraum und unterm Sitz ihres Wagens verstauen“. Ein „mehrgängiger Abendschmaus“ und Krimsekt locke die Westalliierten zudem regelmäßig in die „feinen Restaurants der Nobelhotels“. Insbesondere die US-Soldaten würden bei ihren Besuchen „den dicken Maxe machen“, so zitierte die Tageszeitung einen Ost-Berliner. Vier Fotos von mit Einkäufen beladenen Soldaten begleiteten den Artikel. Wie eine Ironie der Geschichte erscheinen die Bilder dem rückblickenden Betrachter, erinnern sie doch an jene Fotos, die nur wenige Monate später, nach der Grenzöffnung am 9. November 1989, auf der anderen Seite der Berliner Mauer entstanden.
Tägliche Patrouille-Fahrten der Westalliierten nach Ost-Berlin
Wie war es möglich, dass jene Soldaten, die doch eigentlich West-Berlin im Falle einer sowjetischen Aggression verteidigen sollten, genüsslich in Ost-Berlin einkaufen gingen? Und dies zu einer äußerst unruhigen Zeit, als sich auch Experten nicht sicher waren, wie die Sowjetunion auf die Massenflucht und Botschaftsbesetzungen durch DDR-Bürger reagieren würde? Die Episode wirft schlaglichtartig ein Licht auf eine besondere Gruppe von Grenzgängern: die in West-Berlin stationierten US-Soldaten. Für sie (wie auch für die Soldaten der britischen und französischen Armee) markierte die Mauer einerseits die Front des Kalten Krieges. Andererseits durften sie diese aber ohne große Kontrollen passieren und ihre Freizeit in Ost-Berlin verbringen.
Zu den Eigentümlichkeiten des Kalten Krieges gehörte der Status des geteilten Berlins, über den sich die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges bis 1990 nicht einigen konnten. Eine Geschichte der Amerikaner in Berlin wäre deshalb unvollständig, würde sie nicht auch einen Blick über die Mauer werfen. Tägliche Patrouille-Fahrten, auch „Flag-Tours“ oder Inspektionsfahrten genannt, führten die Westalliierten nach Ost-Berlin und die sowjetischen Streitkräfte nach West-Berlin. Immer wieder kam es hierbei zu Zwischenfällen und Konfrontationen.
Obwohl prinzipiell erlaubt, waren private Aufenthalte in Ost-Berlin seitens der US-Armee nicht zu jedem Zeitpunkt erwünscht und nicht jedem US-Amerikaner gestattet. Die entsprechenden Regeln änderten sich über die Jahrzehnte hinweg mehrfach. In den 1950er- und 1960er-Jahren betrieben die USA im Hinblick auf die DDR eine „rigorose Nichtanerkennungspolitik“. Militärangehörige und Zivilangestellte wurden deshalb gebeten, sich möglichst nicht in Ost-Berlin aufzuhalten.
Die Dollarschwäche führt zu einer "Armutskrise" unter US-Soldaten
Erst ab Anfang der 1970er-Jahre ermutigte die US-Armee ihre Soldaten und deren Familien, den Ostteil der Stadt auch privat zu besuchen, um „die US-Präsenz im Sowjetsektor Berlins zu verstärken“ und ihnen den Besuch von „Museen, Restaurants, Opernhäusern und Theatern“ vor Ort zu ermöglichen. Der erste Teil der Begründung dürfte sich auf den Wunsch bezogen haben, insbesondere während der Verhandlungen über das Viermächteabkommen demonstrativ zu zeigen, dass man an der Verantwortung der Siegermächte für ganz Berlin festhalten werde. Der zweite Teil verweist darauf, dass West-Berlin als Stationierungsort immer teurer wurde. Als die Nixon-Regierung im Sommer 1971 die Goldkonvertibilität des Dollars aufgab, sank der Lebensstandard der in Deutschland stationierten US-Soldaten rapide. Die Dollarschwäche traf sie in einem Ausmaß, dass die US-Armee selbst von einer „Armutskrise“ sprach.
Schließlich sorgte auch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den USA und der DDR dafür, dass Aufenthalte jenseits der Mauer als weniger gefährlich galten. Die Zahl der Grenzüberquerungen stieg kontinuierlich – zwischen 1977 und 1987 von 30 962 auf 110 619 pro Jahr. An manchen Feiertagen nahm der Grenzverkehr ein kaum zu bewältigendes Ausmaß an. 1986 nutzen so viele GIs den Veterans Day für einen Ausflug in die andere Stadthälfte, dass sich eine Schlange bildete, die zeitweise vom Checkpoint Charlie bis zur vier Kilometer entfernten Urania reichte.
Den vollständigen Bericht und 193 Fotos von der Mauer findet man hier:
https://www.tagesspiegel.de/wissen/us-s ... 98552.html
Besondere Grenzgänger: US-Soldaten fuhren im Kalten Krieg oft privat nach Ost-Berlin – als Abenteuer oder zum Shoppen. Die Ost-Berliner waren davon nicht immer begeistert.
Die Ost-Berliner ärgerten sich sehr über die Besuche alliierter Soldaten aus dem Westen. So berichtete es zumindest am 2. Oktober 1989 die „Berliner Zeitung“: „Wer etwa an Samstagen das Umfeld des ‚Centrum'-Warenhauses am Hauptbahnhof erkundet, findet ohne Mühe mehrere britische Privatwagen und britische Militärbusse. Vor dem ‚Centrum'-Kaufhaus am Alexanderplatz stehen zwei französische Militärbusse und drei amerikanische. Und dann marschieren, mit Schottenrock und strammen Waden, ein paar ‚Highlander' durchs sozialistische Konsumparadies.“
Pelze, Kameras, Lampen, Teppiche, Porzellan, Bettwäsche, Gardinen, Kinderkleidung und Spielzeug, aber auch Hausrat sowie Lebensmittel würden die Soldaten massenweise „im Kofferraum und unterm Sitz ihres Wagens verstauen“. Ein „mehrgängiger Abendschmaus“ und Krimsekt locke die Westalliierten zudem regelmäßig in die „feinen Restaurants der Nobelhotels“. Insbesondere die US-Soldaten würden bei ihren Besuchen „den dicken Maxe machen“, so zitierte die Tageszeitung einen Ost-Berliner. Vier Fotos von mit Einkäufen beladenen Soldaten begleiteten den Artikel. Wie eine Ironie der Geschichte erscheinen die Bilder dem rückblickenden Betrachter, erinnern sie doch an jene Fotos, die nur wenige Monate später, nach der Grenzöffnung am 9. November 1989, auf der anderen Seite der Berliner Mauer entstanden.
Tägliche Patrouille-Fahrten der Westalliierten nach Ost-Berlin
Wie war es möglich, dass jene Soldaten, die doch eigentlich West-Berlin im Falle einer sowjetischen Aggression verteidigen sollten, genüsslich in Ost-Berlin einkaufen gingen? Und dies zu einer äußerst unruhigen Zeit, als sich auch Experten nicht sicher waren, wie die Sowjetunion auf die Massenflucht und Botschaftsbesetzungen durch DDR-Bürger reagieren würde? Die Episode wirft schlaglichtartig ein Licht auf eine besondere Gruppe von Grenzgängern: die in West-Berlin stationierten US-Soldaten. Für sie (wie auch für die Soldaten der britischen und französischen Armee) markierte die Mauer einerseits die Front des Kalten Krieges. Andererseits durften sie diese aber ohne große Kontrollen passieren und ihre Freizeit in Ost-Berlin verbringen.
Zu den Eigentümlichkeiten des Kalten Krieges gehörte der Status des geteilten Berlins, über den sich die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges bis 1990 nicht einigen konnten. Eine Geschichte der Amerikaner in Berlin wäre deshalb unvollständig, würde sie nicht auch einen Blick über die Mauer werfen. Tägliche Patrouille-Fahrten, auch „Flag-Tours“ oder Inspektionsfahrten genannt, führten die Westalliierten nach Ost-Berlin und die sowjetischen Streitkräfte nach West-Berlin. Immer wieder kam es hierbei zu Zwischenfällen und Konfrontationen.
Obwohl prinzipiell erlaubt, waren private Aufenthalte in Ost-Berlin seitens der US-Armee nicht zu jedem Zeitpunkt erwünscht und nicht jedem US-Amerikaner gestattet. Die entsprechenden Regeln änderten sich über die Jahrzehnte hinweg mehrfach. In den 1950er- und 1960er-Jahren betrieben die USA im Hinblick auf die DDR eine „rigorose Nichtanerkennungspolitik“. Militärangehörige und Zivilangestellte wurden deshalb gebeten, sich möglichst nicht in Ost-Berlin aufzuhalten.
Die Dollarschwäche führt zu einer "Armutskrise" unter US-Soldaten
Erst ab Anfang der 1970er-Jahre ermutigte die US-Armee ihre Soldaten und deren Familien, den Ostteil der Stadt auch privat zu besuchen, um „die US-Präsenz im Sowjetsektor Berlins zu verstärken“ und ihnen den Besuch von „Museen, Restaurants, Opernhäusern und Theatern“ vor Ort zu ermöglichen. Der erste Teil der Begründung dürfte sich auf den Wunsch bezogen haben, insbesondere während der Verhandlungen über das Viermächteabkommen demonstrativ zu zeigen, dass man an der Verantwortung der Siegermächte für ganz Berlin festhalten werde. Der zweite Teil verweist darauf, dass West-Berlin als Stationierungsort immer teurer wurde. Als die Nixon-Regierung im Sommer 1971 die Goldkonvertibilität des Dollars aufgab, sank der Lebensstandard der in Deutschland stationierten US-Soldaten rapide. Die Dollarschwäche traf sie in einem Ausmaß, dass die US-Armee selbst von einer „Armutskrise“ sprach.
Schließlich sorgte auch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den USA und der DDR dafür, dass Aufenthalte jenseits der Mauer als weniger gefährlich galten. Die Zahl der Grenzüberquerungen stieg kontinuierlich – zwischen 1977 und 1987 von 30 962 auf 110 619 pro Jahr. An manchen Feiertagen nahm der Grenzverkehr ein kaum zu bewältigendes Ausmaß an. 1986 nutzen so viele GIs den Veterans Day für einen Ausflug in die andere Stadthälfte, dass sich eine Schlange bildete, die zeitweise vom Checkpoint Charlie bis zur vier Kilometer entfernten Urania reichte.
Den vollständigen Bericht und 193 Fotos von der Mauer findet man hier:
https://www.tagesspiegel.de/wissen/us-s ... 98552.html