Anmerkungen zur Resonanz des SFB bei der Bevölkerung in der DDR
Am 25. März 2003 veranstaltete der SFB anläßlich seines fünfzigsten Geburtstages im Fernsehzentrum in der Masurenallee ein Symposium. Im Rahmen der Veranstaltung wurden zwei Referate gehalten. Die Westsicht übernahm Norbert Schneider vom WDR, die Ostperspektive Stefan Wolle vom Forschungsverbund SED-Staat der FU Berlin. Anschließend fand eine Podiumsdiskussion mit Persönlichkeiten aus dem Medienbereich statt. Dabei wurde über die Vergangenheit, aber auch über die Zukunft des Senders diskutiert. Die Veranstaltung war gleichzeitig eine Art Abschied. Inzwischen ist der SFB mit dem ORB zum RBB fusioniert und damit ein Stück deutscher Mediengeschichte geworden. Sinn des hier abgedruckten Vortrages war es, daran zu erinnern, daß der Sender nicht allein im Westen eine Rolle spielte, sondern auch im Bewußtsein der Bevölkerung Ost-Berlins und der DDR einen festen Platz hatte.
Ich bin in einer doppelten Funktion – als Zeitzeuge und als Historiker – gebeten worden, die Frage zu beantworten: Welche Rolle haben Hörfunk und Fernsehen des Westens – insbesondere natürlich der SFB – in der DDR gespielt? Und ich will versuchen, im Sinne einer »Archäologie der Erinnerung« wie ein Ausgräber vier stratigraphische Schichten des Themas bloßzulegen und die persönlichen Erinnerungen mit einigen Aktenstücken aus den Archiven des MfS und der SED zu ergänzen.
Die älteste Schicht der Erinnerung stammt aus der Zeit kurz vor dem Mauerbau. Ich war also etwa zehn Jahre alt und Schüler der dritten Klasse. Eines Tages verteilte die Lehrerin Zettel und die Schüler sollten die Frage beantworten: »Wie heißt der Bürgermeister von Berlin?«
Es handelte sich – wie sich bald herausstellten sollte – um eine Fangfrage. Die richtige Antwort hätte lauten müssen: Friedrich Ebert – der Bürgermeister von Ost-Berlin, das sich damals eisern Groß-Berlin nannte. Ich weiß nicht, wie viele der Zehnjährigen die Frage wunschgemäß beantwortet haben. Ich weiß auch nicht mehr, was auf meinem Zettel stand. Wahrscheinlich gar nichts. Doch angeblich hatten zwei Schüler Willy Brandt auf das Blatt geschrieben und damit offenbart, wes Geistes Kind sie waren. Ich sage »angeblich«, weil es mir im Rückblick wahrscheinlich erscheint, daß die zwei Übeltäter – ein Junge und ein Mädchen – als ohnehin »westlich eingestellt« ausgesucht worden waren.
Die Lehrerin, blaß vor Erregung, befahl in der nächsten Stunde die beiden Schüler vor die Klasse und eröffnete ihre Rede mit der Bemerkung: »Es ist etwas sehr, sehr Schlimmes passiert.« Dann teilte sie uns mit, daß zwei Schüler den Ami-Agenten Willy Brandt als Bürgermeister von Berlin bezeichnet hatten. Die beiden Schüler seien »Rias-Enten«, meinte die Lehrerin, und tatsächlich fanden sich nach Schulschluß einige Mitschüler, die im Sprechchor den beiden hinterher riefen: »Rias-Ente ... Rias-Ente!«. Einige Zeit später wurden die Eltern während der Elternversammlung aufgefordert, zu unterschreiben, daß in ihrem Hause keine westlichen Sender empfangen werden. Wahrscheinlich war die ganze Geschichte also von Anfang an ein abgekartetes Spiel.
Die Sache hatte ein seltsames Nachspiel, das es möglich macht, die Erinnerung genau zu datieren. Nach den großen Ferien des Jahres 1961 wurde uns beim Fahnenappell mitgeteilt, daß die Klassenlehrerin Frau W. die Republik verraten habe. Zum Zeitpunkt der Sicherung der Staatsgrenze habe sie sich in Westdeutschland aufgehalten und sei nicht in ihre Heimat, den einzigen deutschen Friedensstaat, zurückgekehrt.
Mehr Informationen hier:
http://www.horch-und-guck.info/hug/arch ... 208-wolle/