Der "geteilte Äther" über Berlin

Alles zu Radio und Fernsehen in beiden deutschen Staaten

Der "geteilte Äther" über Berlin

Beitragvon Interessierter » 7. April 2016, 11:33

Anmerkungen zur Resonanz des SFB bei der Bevölkerung in der DDR

Am 25. März 2003 veranstaltete der SFB anläßlich seines fünfzigsten Geburtstages im Fernsehzentrum in der Masurenallee ein Symposium. Im Rahmen der Veranstaltung wurden zwei Referate gehalten. Die Westsicht übernahm Norbert Schneider vom WDR, die Ostperspektive Stefan Wolle vom Forschungsverbund SED-Staat der FU Berlin. Anschließend fand eine Podiumsdiskussion mit Persönlichkeiten aus dem Medienbereich statt. Dabei wurde über die Vergangenheit, aber auch über die Zukunft des Senders diskutiert. Die Veranstaltung war gleichzeitig eine Art Abschied. Inzwischen ist der SFB mit dem ORB zum RBB fusioniert und damit ein Stück deutscher Mediengeschichte geworden. Sinn des hier abgedruckten Vortrages war es, daran zu erinnern, daß der Sender nicht allein im Westen eine Rolle spielte, sondern auch im Bewußtsein der Bevölkerung Ost-Berlins und der DDR einen festen Platz hatte.

Ich bin in einer doppelten Funktion – als Zeitzeuge und als Historiker – gebeten worden, die Frage zu beantworten: Welche Rolle haben Hörfunk und Fernsehen des Westens – insbesondere natürlich der SFB – in der DDR gespielt? Und ich will versuchen, im Sinne einer »Archäologie der Erinnerung« wie ein Ausgräber vier stratigraphische Schichten des Themas bloßzulegen und die persönlichen Erinnerungen mit einigen Aktenstücken aus den Archiven des MfS und der SED zu ergänzen.

Die älteste Schicht der Erinnerung stammt aus der Zeit kurz vor dem Mauerbau. Ich war also etwa zehn Jahre alt und Schüler der dritten Klasse. Eines Tages verteilte die Lehrerin Zettel und die Schüler sollten die Frage beantworten: »Wie heißt der Bürgermeister von Berlin?«
Es handelte sich – wie sich bald herausstellten sollte – um eine Fangfrage. Die richtige Antwort hätte lauten müssen: Friedrich Ebert – der Bürgermeister von Ost-Berlin, das sich damals eisern Groß-Berlin nannte. Ich weiß nicht, wie viele der Zehnjährigen die Frage wunschgemäß beantwortet haben. Ich weiß auch nicht mehr, was auf meinem Zettel stand. Wahrscheinlich gar nichts. Doch angeblich hatten zwei Schüler Willy Brandt auf das Blatt geschrieben und damit offenbart, wes Geistes Kind sie waren. Ich sage »angeblich«, weil es mir im Rückblick wahrscheinlich erscheint, daß die zwei Übeltäter – ein Junge und ein Mädchen – als ohnehin »westlich eingestellt« ausgesucht worden waren.

Die Lehrerin, blaß vor Erregung, befahl in der nächsten Stunde die beiden Schüler vor die Klasse und eröffnete ihre Rede mit der Bemerkung: »Es ist etwas sehr, sehr Schlimmes passiert.« Dann teilte sie uns mit, daß zwei Schüler den Ami-Agenten Willy Brandt als Bürgermeister von Berlin bezeichnet hatten. Die beiden Schüler seien »Rias-Enten«, meinte die Lehrerin, und tatsächlich fanden sich nach Schulschluß einige Mitschüler, die im Sprechchor den beiden hinterher riefen: »Rias-Ente ... Rias-Ente!«. Einige Zeit später wurden die Eltern während der Elternversammlung aufgefordert, zu unterschreiben, daß in ihrem Hause keine westlichen Sender empfangen werden. Wahrscheinlich war die ganze Geschichte also von Anfang an ein abgekartetes Spiel.

Die Sache hatte ein seltsames Nachspiel, das es möglich macht, die Erinnerung genau zu datieren. Nach den großen Ferien des Jahres 1961 wurde uns beim Fahnenappell mitgeteilt, daß die Klassenlehrerin Frau W. die Republik verraten habe. Zum Zeitpunkt der Sicherung der Staatsgrenze habe sie sich in Westdeutschland aufgehalten und sei nicht in ihre Heimat, den einzigen deutschen Friedensstaat, zurückgekehrt. [flash]

Mehr Informationen hier:
http://www.horch-und-guck.info/hug/arch ... 208-wolle/
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Re: Der "geteilte Äther" über Berlin

Beitragvon Harsberg » 7. April 2016, 12:42

Wir hatten auf der Penne auch so einen Direktor, der hat in das gleiche Horn wie diese Klassenlehreiern geblasen. [mad]
In den 70zigern ist dieses, mit Verlaub, Arschloch auch in den Westen "desertiert". [sick]
Zum Glück haben ihm ein paar nette ehemalige Schüler die Suppe versalzen, Lehrer ist der nie wieder geworden!! [super]
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Re: Der "geteilte Äther" über Berlin

Beitragvon Jago » 7. April 2016, 13:21

Harsberg hat geschrieben:Wir hatten auf der Penne auch so einen Direktor, der hat in das gleiche Horn wie diese Klassenlehreiern geblasen. [mad]
In den 70zigern ist dieses, mit Verlaub, Arschloch auch in den Westen "desertiert". [sick]
Zum Glück haben ihm ein paar nette ehemalige Schüler die Suppe versalzen, Lehrer ist der nie wieder geworden!! [super]



Ja wie denn nun , waren die Ehemaligen Schüler in den 70 gern auch gen Westen . Hier ist doch nicht alles war oder ?

gruß jago
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Re: Der "geteilte Äther" über Berlin

Beitragvon Harsberg » 8. April 2016, 06:18

Ja wie denn nun , waren die Ehemaligen Schüler in den 70 gern auch gen Westen . Hier ist doch nicht alles war oder ?


War doch klar genug geschrieben... [hallo]
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Re: Der "geteilte Äther" über Berlin

Beitragvon Olaf Sch. » 8. April 2016, 07:39

SFB II habe ich manchmal gehört, wenn auf RIAS II mal was nicht lief, abends im Bett AFN - da war der Empfang besser. Am Freitag abend gegen 22.00 Uhr lief auf Stimme der DDR der wöchentliche Beatles Oldie - den ich immer mitschnitt...

da fällt mir ein, am 14.6. Waldbühne Berlin! [hallo] [super]
Olaf Sch.
 

Re: Der "geteilte Äther" über Berlin

Beitragvon Werner Thal » 25. Februar 2017, 15:43

DER SPIEGEL 4 / 1 SOLDATENSENDER - Don´t fence me in

Seit die SED-Agitatoren den Empfang westlicher Jazz- und Schlagersendungen als ideologischen Landesverrat
geißeln, erfreuen sich die Frequenzen 98,6 Megahertz auf UKW und 1358 Kilohertz der Mittelwelle speziell
unter den jugendlichen Einwohnern der DDR-Hauptstadt steigender Beliebtheit.

Auf diesen Ostberliner Wellenlängen kann Ulbrichts junge Garde allnächtlich zwischen 23:45 und 0:15 Uhr
ohne Furcht und parteiamtliche Rügen Töne empfangen, die kein anderer volkseigener DDR-Sender
ausstrahlt.

Den Vorzug, sich ungestraft an den Jazz-Gesängen Ella Fitzgeralds der am Wimmern Elvis Presleys erbauen
zu dürfen, verdanken Ostberlins Radiohörer dem Einfallsreichtum des parteigelenkten Staatlichen
Rundfunkkomitees, dem der Altkommunist, Zahnarzt und Philosophieprofessor Hermann Ley vorsteht.

Leys Radiogenossen, vornehmlich sein Stellvertreter, der vormalige Amerika-Emigrant Gerhart Eisler,
hielten es nach Walter Ulbrichts Zement-Aktion vom 13. August (1961) für nützlich, den längs der
Sektorengrenze wacheschiebenden US-Soldaten durch die drahtlose Vermittlung heimischer Laute
den Anblick der Mauer zu verklären.

Dreizehn Tage nach dem Dreizehnten, am 26. August, meldeten sich um 23:45 Uhr zum ersten mal
auf der Frequenz des Ostberliner Senders "Berliner Welle" eine Männerstimme: "Here is Ops - the real
voice of information and education broadcasting to American troops in West-Berlin."

Seither bemühte sich die, "echte Stimme der Information und Erziehung", bis hin zum Wortlaut der
Ansage den amtlichen amerikanischen Soldatensender American Forces Network ("AFN - the voice
of information and education") in Ton und Stil zu kopieren. Auch die Musik ist fast gleich:
Ops sendet wie AFN Evergreens und neueste Hits nordamerikanischer Abkunft.

Der Unterschied in den Textbeiträgen hingegen ist beträchtlich. Kurznachrichten und Kommentare
der Ops-Redaktion beschränken sich auf Zitate ost-west-verhandlungsbereiter Politiker und darauf,
Westberlinern und Bundesbürgern friedensfeindliche Gesinnung nachzusagen.

Im regelmäßig wiederkehrenden "guten Rat für den Tag" wird den GIs beispielsweise empfohlen,
darüber nachzudenken, weshalb sie wohl zum Schutz jener Deutschen aufmarschieren müssen, die
noch im letzten und vorletzten Krieg die Väter der gegenwärtigen US-Landsergeneration umgebracht
hätten.

Oder Sprecher Bob rät: "Wenn du das nächste Mal mit diesen Westberliner Polypen Patrouille zu fahren
hast, dann frage sie doch mal, was sie im letzten Krieg gemacht haben."

Trotz aller guten Ratschläge ist der meßbare Erfolg der Ops-Sendungen bislang dürftig: Das allnächtlich
wiederholte Angebot an die US-Soldiers, sie könnten der Ostberliner Redaktion ihre Musikwünsche
schicken, löste keine Nachfrage aus. Auch die Zusage eines "schönen Preises" für den uniformierten
Hörer, der den Sinn des Namens Ops enträtsele, verlockte keinen GI zu einem Eingesandt an den
Ostberliner Sender.

Dass Ops bisweilen dennoch in der Lage ist, Angehörige der US-Grenzkommandos mit Namen und
Dienstgrad zu nennen, erklärt sich aus der amerikanischen Sitte, allen Soldaten ihren Namen
deutlich lesbar an die Kampfbluse zu heften. Volkspolizisten an der Friedrichstraße bekämpfen
ihre Langeweile gelegentlich damit, die Namen der Besatzung des US-Checkpoints Charlie mit
Feldstechern auszuspähen und an den Soldatensender weiterzuleiten.

Inzwischen hat allerdings der Chef der Westberliner US-Garnison, Brigadegeneral Harte, angeordnet,
die Namensschilder zu entfernen.

Ops-Entertainer Bob und Barbara müssen sich deshalb jetzt meist darauf beschränken, ihre Scherze
namenlos an den Mann zu bringen. So ließen sie den Bing-Crosby-Song "Yes Sir, that´s my baby" für
"jenen amerikanischen Offizier" ausstrahlen, "der letzte Woche an der Friedrichstraße mehr Zeit
darauf verwandte, eine scharfe kleine Blondine zu eskortieren als an der Grenze Streife zu gehen".

Dazu Informations-Oberst Louis Breault im Berliner US-Hauptquartier: "Wir ignorieren diese Station.
Wenn irgendein amerikanischer Soldat sie hören will, dann soll er das tun. Wir geben dazu keinen
Kommentar."

Die Ops-Redaktion hingegen zeigt sich in dieser Hinsicht weit weniger zurückhaltend: Sie gibt Nacht
für Nacht einen - wenn auch nur musikalischen - Kommentar zur eigenen Lage.

Zu Beginn und zum Ende jeder Sendung klingt auf der volkseigenen Berliner Welle als
Erkennungsmelodie hinweg über Ulbrichts Stacheldraht der amerikanische Weltkrieg-Zwei-Schlager
"Don´t fence me in": "Sperr´mich nicht ein."

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45138058.html

W.T.
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Re: Der "geteilte Äther" über Berlin

Beitragvon Werner Thal » 25. Februar 2017, 16:25

Zu Oben: DER SPIEGEL 4 / 1962 - sorry!

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Re: Der "geteilte Äther" über Berlin

Beitragvon Werner Thal » 26. April 2022, 15:08

DLF-Archiv - AFN - Ein Stück Hörfunkgeschichte

Gegründet wurde der Sender American Forces Network (AFN) im Juli 1943 und ist seitdem überall
dort vor Ort, wo amerikanische Soldaten stationiert sind. Auch in Deutschland war er jahrelang das
Programm für Hörer, die Flotte Musik vermischt mit lockeren Moderationen hören wollten. Doch seit
Ende des Kalten Krieges ist der AFN aus der deutschen Radiolandschaft weitgehend verschwunden.

https://www.deutschlandfunk.de/ein-stue ... e-100.html

https://de.wikipedia.org/wiki/American_Forces_Network

https://www.radiojournal.de/radiojourna ... 1/afn1.htm

https://www.radiojournal.de/radiojourna ... 2/afn2.htm

Heutzutage kann man diverse US-Sendestationen weltweit als AFN360 via Internet empfangen.
Z. B. Country, Pop oder PowerTalk.

Ich kam 1959 das erste Mal mit AFN BERLIN in Berührung. Zur der Zeit wurde dort nur über MW 935/936 kHz gesendet,
ab 1960/1961 auch peu à peu über UKW, mit zunächst wechselnden Frequenzen und Sendeleistungen.
Aber dann bis zum Schluß 1994 als "The Great 88" (87,9 MHz).
Der Berliner MW-Sender "wanderte" ab 22. November 1978 auf die Frequenz 1107 kHz ab.

https://de.wikipedia.org/wiki/AFN_Berlin

W. T.
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Re: Der "geteilte Äther" über Berlin

Beitragvon Werner Thal » 22. Februar 2023, 13:17

Die AFN Radio-Legende Ri(c)k de Lisle in der Talkshow Riverboat:



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Re: Der "geteilte Äther" über Berlin

Beitragvon augenzeuge » 22. Februar 2023, 19:04

Den hab ich sehr gern gehört..... [super]

„Rias 2 war ein Sender für Ostberlin, wir haben nie gedacht, dass wir unsere Hörer jemals sehen würden“, sagt er.


Mit 17 heuert er beim US-Militär an, wird erst Sanitäter, später Radio-DJ beim Soldatensender AFN. Einsätze in Thailand, Portugal folgen, dann die Versetzung nach Frankfurt/Main. Von dort sendete er bereits 1977 für die US-Soldaten in Berlin. 1978 ließ er sich nach Berlin versetzen. „Schlimmer als Frankfurt kann es nicht kommen, dachte ich.“ Kam es auch nicht – es wurde besser, viel besser. „Ich wusste gleich in den ersten Tagen, Berlin ist eine geile Stadt, hier bleibe ich.“

Kein Wunder, in der alten AFN-Villa in Dahlem gehen die Musikgrößen der Zeit ein und aus. Als Bonny Tyler im weißen hautengen Anzug hereinschneit wie John Travolta, ist selbst einer wie De Lisle sprachlos.


https://www.berliner-kurier.de/berlin/d ... -li.213452
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