Erhard wollte für ein Viertel des BIP die DDR kaufenDer Vater des Wirtschaftswunders versuchte, die Prinzipien des Marktes auf die Außenpolitik zu übertragen – und wollte der Sowjetunion Geld für die DDR anbieten. Was für eine Szene. Berlin im Jahre 1963. Im Auto sitzen Willy Brandt , SPD-Politiker und Regierender Bürgermeister von Berlin, und Ludwig Erhard , Bundeskanzler und Mitglied der CDU. Auf der Fahrt durch die Stadt reden die beiden über dies und das. Und über den Kauf der DDR.
1984 erzählte Brandt in einem Interview von jener Fahrt. Und dass ihn der Kanzler „mit großer, wenn auch naiver Offenheit“ gefragt habe, „wie viele Milliarden es wohl meiner Meinung nach kosten würde, dass uns die Russen die DDR überlassen“. Brandt entgegnete, dass man politische Grundpositionen nicht mit Geld erkaufen könne.
Er hielt Erhards Projekt für „etwas simpel und materialistisch“. Einzelheiten nannte er nicht. Und Anfang der 80er-Jahre interessierte sich auch kaum jemand für das Thema. Jetzt allerdings sind neue Akten bekannt geworden.Erhard, als Wirtschaftsminister Begründer der Sozialen Marktwirtschaft und Vater des Wirtschaftswunders, versuchte als Kanzler offenbar, die Prinzipien des Marktes auch auf die Außenpolitik zu übertragen. Das Angebot an die Sowjetunion passte gut zu dem Titel seines Buches „Wohlstand für alle“: Der Preis sollte 100 Milliarden D-Mark betragen. Das Bruttoinlandsprodukt der Bundesrepublik betrug damals rund 382 Milliarden D-Mark.Erhard bot "große materielle Opfer"Die Grundzüge dieses spektakulären Plans finden sich in den „Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland“. Dort ist nachzulesen, dass der frisch gewählte Kanzler 1963 ein Gespräch über neue Ansätze in der Deutschlandpolitik mit dem ebenfalls frisch vereidigten US-Präsidenten Lyndon B. Johnson führte.
Bei dem Treffen fragte Erhard, ob der Präsident dem sowjetischen Regierungschef Nikita Chruschtschow nicht klarmachen könne, „dass Amerika auf das Selbstbestimmungsrecht für ganz Deutschland niemals verzichten werde und dass die Bundesrepublik bereit sei, dafür große materielle Opfer zu bringen.“
Doch Johnson ging darauf nicht ein. Er teilte seinem Gast kühl mit, er habe in nächster Zeit nicht die Absicht, den Sowjetführer zu treffen. Wie aus bislang unveröffentlichten Akten des US-Geheimdiensts CIA und des Washingtoner Außenamts hervorgeht, versuchte Erhard es dennoch mit einem sehr konkreten Vorstoß.
In den Papieren, die der „Spiegel“ nun aufstöberte, findet sich das Protokoll eines Gesprächs zwischen seinem Kanzleramtschef Ludger Westrick und dem Bonner US-Botschafter George McGhee vom 21. Oktober 1963. Danach wollte der Unionspolitiker die Kommunisten jenseits des Eisernen Vorhangs mit einer enormen Summe locken: Von „zweieinhalb Milliarden Dollar pro Jahr für zehn Jahre“ war in dem Gespräch beim Abendessen die Rede, nach damaligem Umrechnungskurs rund 100 Milliarden D-Mark.
Kanzler baute auf Finanznöte der sowjetischen GroßmachtMcGhees Telegramm an das State Department in Washington trägt die Nummer 1481 und ist im US-Nationalarchiv einzusehen. Erhard selbst sprach gegenüber McGhee von einem „Opfer“ oder einer „neuen Geste“. Im Gegenzug zu diesem „Preis für die Wiedervereinigung“ sollte sich Chruschtschow zu einem „Stufenplan“ verpflichten. Der Inhalt: „Mauer, Wiedervereinigung, Selbstbestimmungsrecht und Freiheit für Deutschland“.
Der Kanzler baute offenbar auf die Finanznöte der sowjetischen Großmacht, die den Rivalen China fürchtete und eine ihrer größten Wirtschaftskrisen durchlief. Der Kreml feilschte um Kredite, die Goldreserven schwanden.
Schließlich musste Moskau im Westen gegen harte Devisen viele Millionen Tonnen Weizen kaufen. Die sowjetische Wirtschaft stehe unter Druck, dozierte Erhard gegenüber dem Botschafter, dem Kreml sei deutsche Hilfe deshalb willkommen. Die könne auch eine Lieferung von Industrieanlagen für Sibirien umfassen.
US-Diplomaten fanden Erhards Plan „unausgegoren und unrealistisch“Die US-Diplomaten attestierten dem Erhard-Plan „Originalität“ und einen für den ehemaligen Bundeswirtschaftsminister typischen „wirtschaftlichen Drall“. Allerdings zeuge er auch von „erheblicher politischer Naivität“. Wirtschaftshilfe sei kaum das geeignete Mittel, „der Sowjetunion politische Zugeständnisse abzukaufen“. Die US-Diplomaten gaben dem Vorhaben des Kanzlers deshalb „fast keinerlei" Erfolgsaussichten, es sei„unausgegoren und unrealistisch“.
Tatsächlich fügte sich der Erhard-Plan in die Deutschland-Politik jener Zeit ein, die der Historiker Klaus Hildebrand so beschreibt: Es habe „mehr als ein halbes Dutzend an Entwürfen, Richtungen und Tendenzen“ gegeben, die deutsche Frage neu anzugehen – alle miteinander verwandt, sich dennoch voneinander abhebend, kurz: chaotisch.
Die Regierung fand unter Erhard kein Konzept, das an die Stelle der Abschottungspolitik des ehemaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer hätte treten können.
Im Januar 1965 stellte Erhard schließlich selbst resigniert fest, das Projekt sei wohl nicht länger „politisch realistisch“. Die Deutschen mussten dann noch etliche Jahrzehnte auf die Vereinigung warten – bis zum 3. Oktober 1990.
https://www.welt.de/politik/deutschland ... aufen.htmlMeiner persönlichen Meinung nach, war Ludwig Ehrhard auch hier seiner Zeit weit voraus. Die Bestätigung findet man 1989/1990, wo nicht nur Gorbatschow, sondern auch die prekäre wirtschaftliche Situation der SU die Wiedervereinigung ermöglichte.