"Ich glaubte an die Demokratie"

Alles zum Thema Parteien in der BRD und der DDR

"Ich glaubte an die Demokratie"

Beitragvon Interessierter » 26. Mai 2020, 09:43

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Der Kommunist Wilhelm Pieck (links) und der Sozialdemokrat Otto Grotewohl wurden

"Ein alter Traum ist Wirklichkeit geworden: die Einheit der deutschen Arbeiterklasse!", ruft der Sozialdemokrat Otto Grotewohl unter dem Jubel der Delegierten. Am 21. und 22. April 1946 findet in Ost-Berlin die Vereinigung von SPD und KPD zur SED statt. Feierlich reichen sich Otto Grotewohl und der Kommunist Wilhelm Pieck die Hände. Dabei war Otto Grotewohl noch bis vor kurzem Gegner dieser Einheit gewesen - und mit ihm zahlreiche weitere SPD-Mitglieder. Doch nach dem Stalin-Erlass, der die Vereinigung beider Parteien in der sowjetischen Zone bis zum 1. Mai 1946 befiehlt, bleibt den ostdeutschen Sozialdemokraten kaum eine andere Wahl.

"Beide Parteien schienen das Gleiche zu wollen"


An der Parteibasis haben viele SPD-Genossen auch ganz andere Sorgen in dieser Zeit. Sie müssen ihre Existenz sichern, ihr Leben neu sortieren. So wie Hans Marquardt, Flüchtlingsjunge aus Stettin. Der 18-Jährige, der im Februar 1946 der SPD beigetreten ist, lässt sich in Ralswiek auf Rügen zum Lehrer ausbilden. Über die Partei-Fusion macht er sich zunächst wenig Gedanken. Ohnehin scheinen beide Parteien fast das Gleiche zu wollen, glaubt er damals. "Darum haben wir da mitgemacht, nicht sehr fröhlich allerdings", erinnert er sich. "Wir hatten nur so ein komisches Gefühl damals, so etwas wie ein schlechtes Gewissen." Durch die Vereinigung der Parteien wird Hans Marquardt zum SED-Mitglied.

Probleme für Bürger mit sozialdemokratischer Gesinnung

Ende der Vierzigerjahre wird mehr und mehr deutlich: Wer an seiner sozialdemokratischen Gesinnung weiterhin festhält, wird in der neu gegründeten DDR Probleme kriegen. Es ist dies die Zeit, in der viele Sozialdemokraten die Koffer packen und gen Westen ziehen. Hans Marquardt entschließt sich zu bleiben. Auf Wunsch des Schulrats zieht er nach Stralsund, um dort Russisch zu lernen, das zum neuen Unterrichtsfach wird. Weiterhin unterrichtet er in Ralswiek. Zudem darf er ein Studium an der Universität Greifswald aufnehmen. "Ich glaubte an eine Karriere hier, ich glaubte der Propaganda in Sachen Demokratie, ich hatte noch lange nicht begriffen, dass man längst dabei war, hier mit uns eine Diktatur zu errichten", sagt er.

Alles scheint normal, bis er an der Uni einen Jugendfreund aus Stettin trifft. Dieser vertraut ihm an, dass er ihn im Auftrag der Partei beobachten solle, weil er als "politisch unzuverlässig" gelte. Hans Marquardt ist darüber nicht wirklich verwundert: "Ich habe mich nicht immer sehr zurückhaltend geäußert, im Kreise von Vertrauten mit meiner Meinung nicht immer hinter dem Berg gehalten. Ich hatte wohl so etwas, was Außenstehende eine 'sozialdemokratische Meinung' nannten", sagt er. Große Sorgen macht er sich nicht. Auch nicht, als er zum Parteivorstand der SED an der Universität vorgeladen wird. Er gelte als unzuverlässig, heißt es auch hier. Er habe eine zu große Klappe. Er solle sich mal bewähren für die Demokratie. Seine "Bewährungsprobe": Er soll für ein halbes Jahr als Bergmann in Aue im Erzgebirge arbeiten.

Festnahme unter einem Vorwand

Nachdem das halbe Jahr vorbei ist, will Hans Marquardt heiraten und weiterstudieren. Er gibt seine Privatpapiere seinem Vorgesetzten in Verwahrung - Papiere, auf denen auch politische Witze notiert sind. Der Vorgesetzte reicht die Unterlagen an die Parteileitung weiter. Den Grund hierfür erfährt Hans Marquardt erst viel später, aus seiner Stasi-Akte: Der Vorgesetzte wollte die Frau haben, mit der er selbst verlobt war.

Am 12. Januar 1951 geht Hans Marquardt zum Standesamt. Dort will er seine Braut treffen - doch sie kommt nicht. Wie benebelt geht er durch die Straßen, Richtung Kirche. "Der Pastor kommt auf mich zu, nimmt mich zur Seite und sagt zu mir: 'Gott wollte es nicht.' Sie mögen das heute komisch finden, aber da wusste ich Bescheid. 'Gott wollte es nicht.' Das reichte als Erklärung", sagt er. Er stolpert zurück zum Bergarbeiterheim. "Du sollst verhaftet werden!", ruft ihm ein Kumpel zu. Hans Marquardt reagiert rasch: Er steigt in einen Bus, er will ins Erzgebirge, zu seiner Tante, die während des Krieges eine Jüdin versteckt hatte. Doch auf dem Weg dorthin wird er von zwei Männern festgenommen: Er sei des Schwarzhandels verdächtig. "Du kannst also ruhig mitgehen, denke ich, es ist ein Irrtum", erinnert sich Hans Marquardt.

Wer erfahren möchte wie es weitergeht, sollte im Link auch die Seite 2 anklicken:
https://www.ndr.de/geschichte/chronolog ... ng100.html
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Re: "Ich glaubte an die Demokratie"

Beitragvon augenzeuge » 26. Mai 2020, 11:11

"Man ließ mich nicht raus zum Urinieren, ich habe dann in meine Tasse gepinkelt und die aus dem Fenster entleert", erinnert er sich. Mehrere Male wird er verprügelt, mit langen Stangen geschlagen - vor allem, als er sich weigert, das polizeiliche Vernehmungs- und Schlussprotokoll zu unterschreiben, das voller Lügen ist. Zur Strafe wird er in eine Arrestzelle gesperrt. "Das ist eine ganz kleine Zelle, keinen Quadratmeter groß. Da steht man dann, nur in Unterhose, in dieser Zelle, und sie kippen Wasser rein auf den Kiesboden. Ich weiß nicht, wie lange ich in der Zelle war. Zum Schluss hatte ich ganz dicke Geschwüre an den Armen."


Haben sie das nicht gesungen? [angst]

Und der Zukunft zugewandt,
Laß uns dir zum Guten dienen,
Deutschland, einig Vaterland.
Alte Not gilt es zu zwingen,
Und wir zwingen sie vereint,
Denn es muß uns doch gelingen,
Daß die Sonne schön wie nie
Über Deutschland scheint.

AZ
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Re: "Ich glaubte an die Demokratie"

Beitragvon Interessierter » 11. August 2020, 18:09

Kann es sein dass alle Beiträge seit August in den SPD Thread gehören, oder existiert dieser nicht mehr?
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