Von der eigenen Partei verraten

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Von der eigenen Partei verraten

Beitragvon Interessierter » 2. Juni 2020, 09:59

Es sind gerade mal fünf Christdemokraten, die sich im März 1995 im Versammlungssaal der CDU im mecklenburgischen Röbel einfinden, um die Geschichte von Gerhard Beyer zu hören - eine Geschichte, die die ihrer Partei ist. "Wenn ich ganz ehrlich sein soll", sagt der fast 70-Jährige, "und ehrlich war ich bisher immer, dann schockiert mich dieser minimale Besuch. Bei der Brisanz der Vorkommnisse und der Geschichten hätte ich eigentlich ein weitaus größeres Interesse erwartet." Gerhard Beyer hält Vorträge wie diesen, um mitzuhelfen, ein dunkles Kapitel der mecklenburgischen CDU aufzuarbeiten. Und er ist aus dem Saarland nach Röbel zurückgekehrt, um endlich mit dem Mann zu sprechen, der als GI "Fritz" mit seinen Spitzelberichten dazu beigetragen hat, dass er und fünf weitere CDU-Mitglieder im November 1953 inhaftiert und jahrelang grausam verhört wurden.

Gerhard Beyer wird verhaftet


Der kleine Kreis der kritischen CDU-Leute in Röbel und Waren versucht, weiterhin zusammenzuarbeiten. Ihre Mandate haben sie bereits niedergelegt, jetzt kommen sie nur noch heimlich zusammen. Am 24. November 1953 fahren acht Mecklenburger erneut nach Berlin, starten einen letzten Gesprächsversuch. Gerhard Beyer erinnert sich: "Otto Nuschke saß hinter seinem Schreibtisch, er war abweisend wie immer und das wurde von Minute zu Minute schlimmer. Ich habe ihm vorgehalten, die CDU hätte nach den Ereignissen des 17. Juni anders handeln müssen, heute würde man sagen: die Wende herbeiführen müssen. Er ist dann hinter seinem Schreibtisch aufgesprungen und hat laut herumgeschrien. Ja, das war der endgültige Bruch."

In der Nacht kehren die Mecklenburger nach Röbel und Waren zurück. Gerhard Beyer kann gerade noch seine Frau begrüßen, da klingelt es an seiner Haustür. Mehrere Männer stehen davor, fünf Pistolen sind auf ihn gerichtet. Sie nehmen Gerhard Beyer fest. Sechs seiner Kollegen, die an diesem Tag mit in Berlin waren, verschwinden ebenfalls in den Untersuchungshaftanstalten der DDR, einer wird jedoch bald wieder freigelassen.

Gerhard Beyer wird in die Kreisdienststelle der Staatssicherheit gebracht und dort die ganze Nacht verhört. Dann bringen Beamte ihn nach Neustrelitz, zur Bezirksdienststelle der Staatssicherheit. Er kommt in Einzelhaft und wird fast pausenlos verhört, meistens nachts. Dabei fesseln die Stasi-Verhörer ihn an einen Stuhl, ein greller Scheinwerfer strahlt ihm ins Gesicht, sodass er die Vernehmungsoffiziere nicht sehen kann. "Sie haben mir die Gefährdung des Weltfriedens vorgeworfen, die Verleumdung des Arbeiter- und Bauernstaates, Boykotthetze und die Kontaktaufnahme zur CDU-Agentenzentrale in West-Berlin, so hieß das damals." Tag und Nacht wird seine fensterlose Einzelzelle von einem Scheinwerfer bestrahlt. Gerhard Beyer geht es von Tag zu Tag schlechter. Dass er Tuberkulose hat, überhören die Offiziere. Ein Arzt wird nicht gerufen.

"Ich bin dann so krank geworden, dass ich schließlich jedes Vernehmungsprotokoll unterschrieben habe - egal, was sie darin notiert hatten", sagt Beyer. Im Juni 1954 wird er vor dem Bezirksgericht in Neubrandenburg zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. Erst kommt er in eine Haftanstalt in Bützow-Dreibergen, dann in das berüchtigte Zuchthaus Waldheim in Sachsen. 1955 wird der Tbc-Kranke zur Operation in das Haftkrankenhaus von Meusdorf bei Leipzig verlegt, wo er unter fragwürdigen medizinischen Bedingungen an der Lunge operiert wird.

Entlassung und Flucht


1957 kommt Gerhard Beyer vorzeitig frei. Er erinnert sich: "Die Stasi-Offiziere haben immer getönt: 'Wenn wir Sie jetzt entlassen, dann hauen Sie ab in den Westen!' Und ich habe dann immer geantwortet: 'Nein, ich fahre nach Hause, nach Röbel!' 'Das glauben wir Ihnen nicht!', haben die dann gesagt. 'Ihre Angehörigen sind ja alle im Westen.' Und das stimmte, das stimmte tatsächlich." Eines Morgens wird Gerhard Beyer zum Bahnhof in Eisenach gefahren und erhält eine Fahrkarte nach Röbel. Er hat Glück, dass die Strecke über Berlin verläuft. Als der Zug über West-Berlin fährt, reißt er die Wagentür auf, springt raus, läuft los - und zwei Westberliner Polizisten in die Arme. Diese bringen ihn zum Deutschlandbüro der CDU. Nach mehreren Umwegen landet Gerhard Röbel im Saarland. Auch dort engagiert er sich weiter für die CDU. Mit dem Mauerfall im Herbst 1989 wird sein Traum von der Wiedervereinigung endlich wahr.

Die Wahrheit kommt ans Licht

1993 kann er seine Stasi-Akten einsehen. "Ich hatte bis dahin nur Vermutungen. Es ist doch aufgefallen, als wir verhaftet und verurteilt worden sind: Ausgerechnet einer unserer engsten Mitarbeiter ist nicht festgenommen worden. Man konnte schon damals nur daraus schließen, dass er für die Staatssicherheit gearbeitet haben muss", sagt er. Er liest die Berichte des GI "Fritz" über die Mitgliederversammlungen der CDU, die "Festnahmevorschläge im 'Gruppenvorgang Schmarotzer'", wie die kritische CDU-Gruppe in den Akten heißt, er studiert seinen Festnahmebericht und den Haftbefehl. Schnell ist sich Gerhard Beyer sicher, wer sich hinter dem Decknamen "Fritz" verbirgt. Er stellt den notwendigen Antrag auf "Decknamenentschlüsselung" - und erhält die offizielle Bestätigung seiner lang gehegten Vermutung.

Wiedersehen mit GI "Fritz"

Nach dem spärlich besuchten Vortrag ist sein Besuch in Röbel noch nicht zu Ende: Gerhard Beyer hat vor, GI "Fritz" zu treffen. Dieser lebt noch immer in Waren/Müritz, ist noch immer CDU-Mitglied. Beyer klingelt an dessen Haustür, wird hereingelassen, kehrt jedoch nach wenigen Minuten wieder zurück. Doch, er habe eine Art Entschuldigung gehört, sagt er, "die hat mich aber nicht überzeugt".

Zwar habe GI "Fritz" sämtliche Spitzeltätigkeiten zugegeben, doch wirklich schuldbewusst habe er sich nicht gezeigt. "Er ist dann mit der Erklärung gekommen, die Stasi sei schuld, der KGB und so weiter - sie hätten ihn in die Enge getrieben, und er habe keinen Ausweg mehr gewusst", berichtet Gerhard Beyer enttäuscht. "Es hat mich ein bisschen aufgeregt - nach so vielen Jahren vor diesem Menschen zu stehen und dann zu sehen, er ist ein menschliches Wrack geworden." Dann macht er sich auf den Heimweg. Jederzeit ist Gerhard Beyer bereit, zurück nach Mecklenburg kommen, wenn es gewünscht wird - als Gesprächspartner, nicht als Rächer. Darauf legt er Wert.

https://www.ndr.de/geschichte/chronolog ... age-1.html
Interessierter
 

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